Ein leiser Abschied mit symbolischer Wucht: Zum 20. Mal – und zum letzten Mal – ist der Radebeuler Bauherrenpreis vergeben. Seit 1997 würdigt er Baukultur und Haltung im Stadtbild. Dr. Jörg Müller, Erster Bürgermeister, sagt nüchtern: „Besser jetzt aufhören.“ Ein neues Format müsse her. Zeitgleich beginnt etwas Neues – nur viel größer: Der „Bau-Turbo“ aus Berlin.
Der Verein für Denkmalpflege und Neues Bauen Radebeul e.V., seit 28 Jahren Veranstalter des Wettbewerbs, blickt mit Stolz und Wehmut auf das Geleistete. Dr. Jens Baumann gilt als ideeller Kopf hinter dem Preis.
Und während das eine geht, tritt das andere in Kraft: Eine umfassende Reform des Baurechts, die in atemberaubender Geschwindigkeit umgesetzt wurde. Seit dem 30. Oktober ist der „Bau-Turbo“ Gesetz. Ziel: mehr Wohnraum, schneller und einfacher gebaut. Doch wie sehen die Abläufe aus? Die Fristen sind kurz, viele Ämter kämpfen mit praktischen Fragen – etwa bei der Öffentlichkeitsbeteiligung. Wie soll das gehen?
Ein Knackpunkt: Wenn einer in zweiter Reihe bauen darf, will es der nächste auch. Der Turbo ist bis 2030 befristet – doch was jetzt entschieden wird, kann bindend wirken. Dr. Müller warnt: „Chancen und Gefahren liegen eng beieinander.“ Die Stadt Radebeul hält deshalb an ihrer Radebeul-Charta fest (s. Anhang).
Was bisher bekannt ist: Gemeinden können künftig von planungsrechtlichen Vorschriften abweichen, wenn dadurch Wohnraum entsteht – z. B. bei Bebauungsplänen. Auch Aufstockungen und Hinterbebauung sollen erleichtert werden. Selbst in Gebieten ohne gültigen B-Plan wird das geltende Recht aufgelockert.
Doch was möglich ist, ist nicht immer passend. „Höher und dichter bauen“ steht aktuell auf der politischen Agenda. Radebeuls Charta zur städtebaulichen Qualität, beschlossen 2021, soll weiterhin gelten. Müller betont: „Das ist unser Rahmen.“
Wenn keine Einigung mit dem Bauherrn gelingt, kann eine Bauleitplanung folgen. Ziel ist nicht Verhinderung, sondern Steuerung. Spontaner Wildwuchs soll vermieden, transparente Regeln gesetzt werden.
Denn alles steht zur Disposition. „Wohin führt unser Weg?“, fragt Müller. „Die Kommunen tragen jetzt große Verantwortung. Bauen in zweiter Reihe ist möglich, frühere Festsetzungen verlieren an Bedeutung.“
Ein Wohnungsbau um jeden Preis? Nein. Die Stadt kann Auflagen erteilen – das war bisher nicht möglich. Aber: nachvollziehbar muss er sein.
Der „Bau-Turbo“ bringt Bewegung. Aber auch Verantwortung. Wie die Stadt damit umgeht, wird entscheidend sein.
Aus dem Grundsatzpapier zur Sicherung der städtebaulichen Qualität in Radebeul
- Erhaltenswerte Grünstrukturen (den öffentlichen Raum prägende Grünstrukturen in privaten Vorgartenbereichen, Großgrün etc.) sind vorrangig zu berücksichtigen und zu erhalten.
- Der Neubau von Wohnungen sowie Nebenanlagen und die damit verbundene Flächeninanspruchnahme müssen mit der Erhaltung der
wertvollen Freiräume innerhalb des jeweiligen Grundstückes vereinbar sein, der prägenden Grünstruktur sollte Vorrang gewährt werden. - Die Eröffnung einer zweiten oder dritten Baureihe ist grundsätzlich kein Entwicklungsziel und wird kritisch hinterfragt.
- Das Verhältnis von versiegelter und unversiegelter Grundstücksfläche muss ausgewogen sein und sich an der näheren Umgebung orientieren.
- Die Anzahl der Wohnungen ist unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf Baudichte, Versiegelungen, Anzahl der Nebenanlagen sowie auf den ruhenden und fließenden Verkehr zu beachten und muss sich ebenso in die nähere Umgebung einfügen
- Die prägende Baustruktur ist eine straßenbegleitende Bebauung mit untergeordneten Nebenanlagen im rückwärtigen Grundstücksbereich
- „Ausreißer“ im umliegenden Stadtraum bilden nicht den Maßstab für das Maß der baulichen Nutzung. Grundfläche, Trauf- und Firsthöhen bzw. Gebäudehöhen einschließlich Dachraum oder Staffelgeschosse müssen sich an der prägenden „Gebäudemehrheit“ orientieren. Vorhandene Straßenfluchten sind aufzunehmen.
- Die Bauweise sowie die überbaubare Grundstücksfläche haben sich ebenfalls am umliegenden Bestand zu orientieren.
- Die Fassaden- bzw. Gebäudegestaltung soll unter Berücksichtigung des direkten Umfeldes und in Einklang mit der Wertigkeit des angrenzenden Stadtraumes entwickelt werden.
- Qualität im Städtebau bedeutet nicht, auf wirtschaftliche Lösungen zu verzichten. Gut proportionierte Fassaden sowie gliedernde Elemente fördern die Akzeptanz. Mehrkosten für höherwertige Fassadenmaterialien relativieren sich häufig durch längere Haltbarkeit sowie oft geringere Instandhaltungskosten. Diese Möglichkeiten sollen bei dafür geeigneten Grundstücken mit geprüft und besprochen werden.
- Balkone sind gerade bei Mehrfamilienhäusern wichtige Bestandteile der Wohneinheiten. Diese sollen aber im Gesamtentwurf als untergeordnetes Bauteil integriert und nicht wie nachträglich aufgeständerte Fremdkörper wirken und zu den Proportionen des Hauses passen.



