Er durfte aus der Rolle fallen, lästern, provozieren, Dinge sagen, die nicht erlaubt waren.Restaurator Lars Rebehn zeigt den historischen Lorgie-Kasper aus der Sammlung. Foto: © Branczeisz

Wer kennt ihn nicht – den Kasper?! Die Figur mit dem breiten Grinsen, der langen Nase, dem karierten Kostüm mit Schellenglöckchen und dem frechen Mundwerk, ein Schelm und Schlingel, der neben Großmutter, Gretel und Krokodil in keinem Handpuppentheater fehlen darf. Er ist der (heimliche) Held einer jeden Geschichte und sorgt mit seiner Bauernschläue dafür, dass am Ende alles gut wird. Doch er war nicht immer so.

Wo er herkommt und wie er sich weiterentwickelt hat, erfährt man bei einem kurzweiligen Vortrag von Lars Rebehn, Konservator der Puppentheatersammlung Dresden, am Donnerstag, 23. Oktober 2025, um 18.30 Uhr in den Räumen der Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Kraftwerk Mitte. Der Vortrag zeichnet das bewegte Leben dieser scheinbar so gut bekannten Figur nach neuesten Forschungserkenntnissen bildreich nach. Der Eintritt ist frei.

Wer mag, kann sich zuvor ein paar der echten Kasper in der Dauerausstellung der Puppentheatersammlung anschauen, die an diesem Tag bis 18 Uhr geöffnet ist. Direkt im Anschluss beginnt der Einlass zum Vortrag.

Die Figur aus Zentralasien hat in seiner mehr als achthundertjährigen Geschichte in Europa viele Einflüsse aufgenommen und sich immer wieder gewandelt. Dies betraf nicht nur Namen und Aussehen, sondern auch sein Verhalten und seine gesellschaftliche Funktion. Staatskanzler Metternich fürchtete sich so sehr vor ihm, dass er ihm das Wort verbot. Im späten 19. Jahrhundert glaubte ein Jurist, dass Kasper die Jugend zu Gewalt- und Straftaten verleiten würde. Die Nazis versuchten die Figur zu instrumentalisieren, was ihnen aber nur teilweise gelang. Für den Aufbau des Sozialismus in der DDR wurde er als ungeeignet abgetan, gelangte dann aber durch das Hintertürchen des Witzes zu neuer Bedeutung. Heute hat ihn eine junge Generation von Puppenspielern neu für sich entdeckt.

Lars Rebehn war froh, dass der Kasper der Puppensammlung so zerschlissen aussah. Aus dem Mund eines Oberkonservators sollte man anderes erwarten, aber der Lorgie-Kasper ist eine Kostbarkeit und bis in die 1960er Jahre hinein war es eben üblich, Marionetten neu anzumalen, wenn die Farbe blass wurde. Notfalls wurde die Drahtbürste genommen und die alte Farbe abgekratzt. Heute undenkbar. Doch restaurieren wie wir es heute kennen, war damals noch nicht üblich. Dabei erzählen die Puppen viele Geschichten.  Dieser hier ist von Franz Anton Lorgie und hat wohl von 1790 bis 1952, als er in der DDR Berufsverbot bekam.

20 Farbschichten wurden am Kopf entdeckt und auch sie erzählen eine Geschichte. Zur Zeit der ersten Schichten gab es noch keine Anilinfarben, erst 1840 setzte die Ära der Chemiefarben ein.  In den letzten sieben Farbschichten gab es andere Wärmewerte, die Puppenspieler mussten  auf die neumodische elektrische Beleuchtung reagieren, die es seit 1920 gab. Aus unzähligen Details vermuten die Restauratoren, dass diese Kasperpuppe aus der Anfangszeit der Bühne, um 1790 stammt.

Sein Schöpfer Franz Anton Lorgie – dessen Grab sich übrigens seit 1853  auf dem alten katholischen Friedhof in der Friedrichstadt befindet, gründete sein Theater  1790. Wiederholt spielte er vor dem sächsischen Hof. Briefwechsel zeigen, der König hat sich bitten lassen, dafür huldvoll die Erlaubnis zu erteilen, gehörte ihm als König doch Hoftheater und dort ging die Zahl der Zuschauer merklich zurück, wenn Lorgie in der Stadt gastierte. Puppentheater war damals Erwachsenentheater und dazu für jedermann. Schon Heinrich Kleist soll den Lorgie-Kasper gesehen haben, als er in Dresden weilte.

Angeblich sind Lorgie schon damals für seinen Kasper 1.000 Taler geboten worden – er lehnte ab. Lorgie-Puppen sind für ihren fein geschnitzten Körper bekannt und sie sind als eine der ersten Fadenmarionetten spielte, denn bis dahin steckte im Kopf der Puppen ein Eisenstab, was sie auch im Spiel weniger filigran machte.  

Ob es wirklich DIESER Lorgie-Kasper war, der heute der Puppentheatersammlung Dresden alle Ehre macht, wer weiß. Das ist das große Geheimnis, so Lars Rebehn, denn Lorgie besaß zwei Kasper. Herausgekommen ist das in einer Vorstellung 1816 in der Friedrichstadt. Da musste der Kasper laut Textbuch miauen. In der ersten Reihe saß ein Fabrikant mit seinem Pudel und es kam wie es kommen musste:  Der Kasper miaute, der Pudel sprang auf die Bühne und fledderte den Kasper. Doch ohne Kasper keine Vorstellung – da öffnet sich der Vorhang und ein zweiter Kasper sprach, sein Bruder sei von den wilden Tieren zerfleischt worden und nun müsse er den Part übernehmen.

Als der Lorgie-Kasper in den 1990er Jahren erstmals restauriert wurde, war tatsächlich der Kopf total zerdrückt. Damals habe allerdings niemand geschaut, ob es Spuren von einem Hund gab, erzählt Rebehn.

Nach dem Tod von Franz Anton Lorgie 1853 führte seine Witwe bis 1877  weiter. Dann wurde es verkauft und in Teilen bis 1952 bespielt. Erhalten sind bis heute etwa 20 Bühnenkollegen des Lorgie-Kaspers, darunter Charaktere wie der Teufel und zwei Rokoko-Tanzpaare, die sich im Kreise drehen und allerlei Kunststückchen zeigen und die nicht sprechen.

Doch der Kasper ist von jeher DIE Figur. Warum?  Er durfte aus der Rolle fallen, lästern, provozieren, Dinge sagen, die nicht erlaubt waren. Nur weil der Kasper zutiefst menschliche Eigenschaften auf sich zieht, bleibt der Held der Handlung rein, den hehren Zielen zugewandt, ein Ideal.  

Während der Kasper schließlich auf der großen Bühne verschwindet, bleibt er im Marionettentheater erhalten – vielleicht ist das der Grund, warum das Puppentheater ab 1945 mehr Zuschauer hatte als das Staatsschauspiel.

Eine 235 Jahre alte Kasper-Puppe – da stand eine grundlegende Körperpflege an. Die „Freunde der Puppentheatersammlung Dresden e.V.“ haben dafür 1.600 Euro aufgebracht. Nicht nur das. Die Aktion ist Auftakt der neuen Kopf-Patenschaft, bei der ab sofort alle mitmachen können. Jeder oder jede kann sich auf der Webseite der Puppentheatersammlung „seinen“ Lieblings-Puppenkopf aussuchen und mit einer Spende von mindestens 100 Euro eine Patenschaft übernehmen.

Es geht dem Förderverein gerade darum, die Aktion unter die Leute zu bringen, auch kleine Spenden helfen. So kann eine Puppe auch mehrere Paten haben. Restaurieren, Nachbauen und später Neuerwerb sind die drei erklärten Ziele. .

Wie spannend die Welt des Restaurierens ist, zeigt ein ganz neuzeitlicher Aspekt. Manches wird nämlich bewusst nicht angefasst, z.B. Puppen aus Kunststoff. Die sind noch nicht  restaurierbar. Das müssen spätere Generationen tun, wenn die nötigen Techniken dafür da sind.

Ein Problemfall: Kasper!
Zur lustigen Figur der Handpuppenbühne vom Mittelalter bis in die Gegenwart

Donnerstag, 23. Oktober 2025, 18.30 Uhr (Einlass ab 18 Uhr)
Puppentheatersammlung, Kraftwerk Mitte, Eintritt frei.

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