Steffen Stiller und Joachim Langenwalter vor dem ältesten bekannten Holz-Hochrad von 1886. Foto: © BranczeiszSteffen Stiller und Joachim Langenwalter vor dem ältesten bekannten Holz-Hochrad von 1886. Foto: © Branczeisz

Es war eine Reise durch mehr als ein Jahrhundert Technikbegeisterung, Tüftelei und Fahrradleidenschaft: Beim Vortrag des Münchner Fahrradsammlers Joachim Langenwalter im Velocium Weinböhla öffnete sich ein Panorama der frühen Mobilitätsgeschichte, das selbst Kenner ins Staunen versetzte. Von den ersten Hochrädern bis zu eleganten Rennmaschinen der Zwischenkriegszeit zeigte sich, wie rasant die Entwicklung des Fahrrads voranschritt – und wie eng sie mit sächsischer Industriegeschichte verwoben ist.

Den Anfang setzt der Februar 1885, als in Chemnitz das Veloziped-Depot Winklhofer und Jaenicke gegründet wurde. Das Unternehmen baute Hochräder, jene ikonischen Maschinen mit gewaltigem Vorderrad – darunter auch ein Exemplar von 1886, das älteste bekannte Hochrad der Marke, 48 Zoll hoch, ohne Licht, puristisch, mutig. Bereits 1887 folgte das älteste bekannte Niederrad von Winklhofer und Jaenicke: 30 Zoll, kompakt, ein entscheidender Schritt hin zum modernen Fahrrad.

Die Industrie nahm Fahrt auf. 1896 entstand die Wanderer Fahrrad-Werke AG in Schönau bei Chemnitz. Was als Fahrradproduktion begann, wurde bald zum breit aufgestellten Technikunternehmen: 1902 erschien das erste Wanderer-Motorrad mit 1,5 PS – gefolgt von Kleinkraftwagen ab 1907 und dem legendären 5-PS-Modell von 1911. 1913 kam das „Püppchen“, ein Wanderer-Kraftwagen, der damals als leicht, elegant und überraschend modern galt.

Doch die Geschichte erzählt mehr als nur vom Fahren: Sie ist auch eine Geschichte der Maschinen. 1899 verließen die ersten Fräsmaschinen die Werkhallen, 1904 folgte die Continental-Schreibmaschine und 1914 die erste druckende Addiermaschine Europas – ein Meilenstein, der zeigt, wie breit Wanderer technologisch dachte.

Ein besonderes Stück im Vortrag war ein Fahrrad mit Romanium-Felgen aus dem Jahr 1903. Die Aluminium-Legierung wog nur 750 Gramm – deutlich leichter als Stahl und für die Zeit eine technische Sensation. 1908 begeisterte ein kettenloses Fahrrad mit Petroleumlampe, dreieckiger Rahmentasche und sportlichem Rennsattel. Der Sammler erinnerte daran, was solche Technik damals wert war: Ein Rad wie dieses kostete 1908 rund 325 Mark, bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 1019 Mark – ein Luxusgut, ein Statement.

Auch militärische und religiöse Spuren führt die Fahrradhistorie zusammen. Ein sogenannter Halbrenner des schwedischen Militärs war im Original grau gestrichen und trug ein beeindruckendes 62-Zähne-Kettenblatt. Ein vollständig erhaltener Fund aus einem Klosterkeller in St. Ottilien zeigte wiederum, wie Fahrräder im Alltag überleben, wenn sie sorgsam behandelt werden: ein Rad von 1915, leicht patiniert, aber vollständig erhalten.

Mit den 1920er-Jahren beginnt die Eleganz: Ein Rennrad von 1927 mit Batterie-Stecklicht und Holzfelgen verriet Pioniergeist und Leichtigkeit gleichermaßen. 1928 folgten die ersten voll verchromten Fahrräder – Glanzstücke, die bei jeder Bewegung funkelten. Und 1931 setzte die Marke Adler ein gestalterisches Zeichen: erstmals ein Adler als Figur auf dem Schutzblech, stolz und klar sichtbar.

All diese Geschichten – technische, menschliche, überraschende – machen deutlich, wie tief das Fahrrad in unserer Kultur verankert ist. Der Vortrag im Velocium zeigte nicht nur seltene Stücke, sondern auch den Weg, wie die moderne Mobilität entstand. Ein Besuch lohnt sich für alle, die Technik lieben, Geschichte spüren wollen oder einfach wissen möchten, warum ein Fahrrad mehr ist als nur ein Fortbewegungsmittel.

TIPP: Wenn das Wetter trocken ist, können Kinder tagsüber zu den Öffnungszeiten auch den Fahrrad-Parcours im Hof mit besonderen Exponaten ausprobieren. (Kirchplatz 5, 01689 Weinböhla)

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